Es wurde langsam Zeit, „Hunde – Rätsel auf vier Pfoten?“, das ich vor 10 Jahren mit meiner geschätzten Kollegin Michaela Feldhordt schrieb, zu überarbeiten und zu aktualisieren. 

 

Wir haben uns entschlossen, daraus eine erweiterte Buchreihe in drei Bänden zu machen, von denen der nun vorliegende erste Band das so wichtige „Basiswissen“ für  alle Hundefreunde beinhaltet. 

 

Hier als Appetithäppchen Auszüge aus dem Inhalt:

Wie gehabt beginnt das Buch mit den ausführlichen Betrachtungen über 

„Die fünf Sinne – Vergleiche zwischen Hunden und Menschen“. 

Zusätzlich zur ursprünglichen Fassung haben wir folgende spannende Abschnitte ergänzt:

 

  • Das Gehirn – Bewusstsein vs. Unbewusstes    
  • Gefühle    
  • Den unterschiedlichen (?) Bedürfnissen des Hundes des Menschen ist ein eigenes Kapitel gewidmet

und auch

  • das Thema „Bindung“ wurde hinzugefügt    

Das Kapitel „Stress“ ist überarbeitet worden.       

Das Kapitel „Wie Hunde reden“ wurde um den ausführlichen Punkt „Die Körpersprache von Hunden“ erweitert.

„Wie Hunde lernen“ wurde ergänzt und überarbeitet, die Kapiteln „Duell oder Duett?“ und „Den Alltag gestalten - Probleme vermeiden“ wurden ebenfalls reloaded 

    

Ganz neu dazugekommen ist der ausführliche Block „Ein Hundeleben lang…“ mit den Kapiteln:   

  • Überlegungen VOR der Anschaffung eines Hundes     
  • Nützliches Zubehör    
  • Ein Welpe kommt in Haus    
  • Ein Hund aus dem Tierschutz / Ausland soll es sein?     
  • Handicap-Hunde – eine lohnenswerte Herausforderung?     
  • Alter Hund – na und?!     
  • Wenn es Zeit wird … Abschied von einem geliebten Freund

 

Ich hoffe, dass dieses Buch besonders von Neulingen in der Hundehaltung gut angenommen wird, so manche anfängliche Unsicherheit beseitigt und dabei hilft, Missverständnisse zwischen Hunden und ihren Menschen zu minimieren. 

leseprobe

Mögliche Gründe, warum ein Hund nicht kommt, wenn man ihn ruft...

 

  • Die Ablenkung ist zu groß.
  • Der Hund kennt das Kommando nicht oder noch nicht gut genug.
  • Der Hund kennt denjenigen nicht, der ihn ruft.
  • Die Entfernung oder der Schwierigkeitsgrad ist zu groß.
  • Die Stimme des Rufers klingt anders als gewohnt.
  • Die Körpersprache des Rufenden wirkt bedrohlich.
  • Der Hund hat schlechte Erfahrungen im Zusammenhang mit diesem Kommando gemacht.
  • Die Motivation, das heißt die in Aussicht gestellte Belohnung, ist nicht gut genug.
  • Der Hund fürchtet sich vor etwas, das er überqueren, durchlaufen, überwinden oder kreuzen müsste, um zum Rufer zu gelangen.
  • Der Hund verrichtet gerade ein kleines oder größeres «Geschäft».
  • Der Hund hat gelernt, dass der Rufer es sowieso erst beim dritten Mal ernst meint.
  • Der Hund wartet auf den «finalen Brüller».
  • Der Hund hat gelernt, dass der Spaß vorbei ist und er angeleint wird, wenn er kommt.
  • Der Hund hat gelernt, dass irgendwo anders etwas ganz Tolles los sein muss, wenn er gerufen wird (andere  Hunde, Leute, Hasen, Katzen …).
  • Der Hund befindet sich aus seiner Sicht mitten in einem bestehenden oder sich anbahnenden Konflikt mit einem Artgenossen oder einer anderen Person (Konfliktvermeidung ist wichtiger als Gehorsam).
  • Der Hund wird nur beim Namen gerufen, nicht aber mit einem Kommando.
  • Es gibt zu viele verschiedene Kommandos für die gleiche Handlung.
  • Der Hund fühlt sich nicht angesprochen, weil sein Name nicht benutzt wurde.
  • Das Kommando wird zu oft gegeben (25-mal in 30 Minuten ist einfach langweilig).
  • Mehrere Personen rufen gleichzeitig nach dem Hund.
  • In der unmittelbaren Nähe des Rufers riecht es sehr unangenehm (Nikotin, Parfüm, Lösungsmittel, Abgase etc.) oder es ist dort sehr laut (beispielsweise Rasenmäher, Staubsauger, andere Maschinengeräusche). 
  • Der Hund ist müde oder sehr erschöpft.
  • Das Kommandowort ist abgenutzt, weil es zu oft in anderen Zusammenhängen vorkommt. 
  • Klassisches Beispiel: «Komm» = komm her, komm weiter, komm setz dich hin, komm stell dich nicht so an, ...
  • Der Hund möchte bei hohen Temperaturen lieber im Schatten bleiben.
  • Der Hund weiß nicht, was ihn erwartet, weil er für ein und dieselbe Handlung mal belohnt und mal bestraft wird.
  • Der Hund ist verletzt, irgendwo hängen geblieben oder hat Eisklumpen zwischen den Zehen, die das Gehen sehr unangenehm machen.
  • Wegen starken Gegenwinds oder sehr lauten Umgebungsgeräuschen trägt die Stimme des Rufers nicht bis zum Hund.
  • Der Hund ist vielleicht altersbedingt schwerhörig oder gar taub.

Dies alles sind nur Möglichkeiten und die Liste erhebt sicher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Prüfen Sie deshalb die Situation genau, bevor Sie Ihrem Hund vorwerfen, ungehorsam zu sein, obwohl er es gar nicht war.

 

Duell oder Duett

 

Brauchen Hunde eine Rangordnung?

In vielen Bereichen der Hundeerziehung und bei vielen Hundeausbildern wird der Begriff «Dominanz» seit vielen Jahren kontrovers diskutiert – von der vollständigen «Verteufelung» dieses Begriffes bis hin zum Beharren auf von alters her bestehenden Ansichten. War der Begriff zeitweilig verpönt, ist er heute wieder salonfähig.

 

Was bedeutet der Begriff Dominanz?

In der Ethologie (der vergleichenden Verhaltensforschung) kennzeichnet Dominanz die momentane Stellung eines Individuums innerhalb einer sozialen Gruppe.

 

In der Psychologie meint man damit «ein auf die Beherrschung oder Kontrolle anderer Individuen oder Gruppen gerichtetes Verhalten. Dominantes Verhalten ist Ausdruck eines ausgeprägten Überlegenheitsbewusstseins sowie des Wunsches, Macht auszuüben» und in der Persönlichkeitsforschung schließlich steht Dominanz für «einen Wesenszug, der als eigensinnig, unabhängig und zuversichtlich» beschrieben werden kann.

 

Damit war für frühere Generationen von Hundetrainern das Konzept einer künstlich herzustellenden Hierarchie klar erwiesen. Schließlich behauptet schon die Bibel, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist und damit das Recht und die Pflicht hat, sich das Tier untertan zu machen. Gleichzeitig entsprach dieses Konzept auch der damaligen gesellschaftlichen Struktur, so dass die Umsetzung der Definition wie selbstverständlich einen Platz im Umgang mit Tieren und somit in der Ausbildung von Hunden bekam. Deutliches Kennzeichen dafür sind die bis heute geläufigen Begriffe «Unterordnung», «Rudelführer», «Alpha-Rolle» und  «Rangzuweisung».

 

Gestützt wurde diese Ansicht Mitte des 20. Jahrhunderts zudem durch Verhaltensbeobachtungen an Wölfen, den genetischen Vorfahren unserer Hunde. Die Erkenntnisse aus diesen Studien wandte man anschließend auf das Verhalten von Hunden an, wobei sich allerdings erhebliche Fehler in der Interpretation einschlichen.

 

Der Grund: Die damaligen Beobachtungen wurden ausschließlich an Gehegewölfen gemacht. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von gefangenen Tieren auf engstem Raum zusammengepfercht wurde, so dass sie nicht in der Lage waren, sich aus dem Weg zu gehen bzw. Jungwölfe keine Chance hatten, die Gruppe zu verlassen, um ein eigenes Rudel zu gründen. Unter solchen extremen Lebensbedingungen war der Stresspegel des einzelnen Tieres und damit die Reizbarkeit und Aggressionsbereitschaft innerhalb der Gruppe logischerweise absolut unnatürlich hoch.

 

Dieser immens wichtigen Einschränkung wurde jedoch keinerlei Beachtung gezollt. Im Gegenteil: Die gesammelten Daten über die Häufigkeit aggressiver Auseinandersetzungen bei Gehegewölfen wurden eins zu eins auf das Verhalten von Hunden untereinander umgemünzt und entsprechend die Schlussfolgerung gezogen, dass man als Mensch im Zusammenleben mit Hunden der «Stärkere» sein muss, weil sonst der Hund die «Herrschaft» übernimmt.

 

Neuzeitliche Feldforschungen, die dank Telemetrie und Satellitenbeobachtungen einen Einblick in das Leben von frei lebenden Wolfsrudeln gestatten, ohne die Tiere dabei zu stören, haben in den letzten Jahren ein völlig anderes Bild vom Umgang der Tiere miteinander geliefert. Demnach werden in gewachsenen Familienverbänden (oftmals ein Elternpaar mit Nachwuchs unterschiedlichen Alters) so gut wie niemals Gewaltszenen, «Mobbing»  oder massive aggressive Auseinandersetzungen beobachtet. Trotzdem sind natürlich geordnete Strukturen in einer Gruppe oder Familie wichtig und  sinnvoll für alle Beteiligten. Sie bieten Sicherheit, Geborgenheit, Klarheit und eine faire Grundlage für einen respektvollen Umgang miteinander.

 

Viele namhafte Experten denken inzwischen, dass die Idee eines «Dominanz-Konzeptes» veraltet ist und zu Unrecht auf das Zusammenleben mit unseren Hunden übertragen wurde. Wir leben mit unseren Tieren eher in einem Familienverband als in einem Rudel. Dieses Denken entspricht auch unseren Ansichten: Wir finden es nicht hilfreich, Tiere als dominant zu etikettieren, da man so schnell ein «Symptom oder Verhalten» mit einer «scheinbaren Ursache» gleichsetzt.

 

Weil Dominanz als Begriff jahrzehntelang negativ besetzt war, ist es unserer Ansicht nach günstiger, diesen Begriff heutzutage nicht allzu unüberlegt zu benutzen, um Missverständnissen und Fehlinterpretationen vorzubeugen. Was wir möchten, ist keine «Dominanz-Diskussion», sondern die Förderung der Kooperationsbereitschaft zwischen Menschen und Hunden.

 

Der Mensch trägt zwar die Verantwortung für die Sicherheit in der Gesellschaft, doch das Tier sollte deswegen niemals Angst vor seinem Besitzer haben müssen. Für uns liegt es nicht nur in der Verantwortung eines Hundehalters, dass sein Tier niemanden belästigt, sondern es ist genauso seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sein Hund von niemandem belästigt wird. Auch ein Hund hat aus unserer Sicht ein Recht auf die Entwicklung einer eigenen  Persönlichkeit, auf Sicherheit, Schutz und Respekt.

 

Daher versuchen wir bei unserer Arbeit in der Hundeschule Situationen möglichst wertneutral und objektiv zu beschreiben. Das ist für uns hilfreicher, als ein Verhalten mit Begrifflichkeiten zu bewerten. Wenn ein Hund in einer Situation die «Führerschaft» hat, ist er «Führer» in dieser Situation, nicht mehr und nicht weniger. Im nächsten Moment kann es der Mensch oder ein anderes Tier sein, der/das diese Rolle innehat – abhängig vom individuellen Interesse, den Örtlichkeiten, der Gruppenzusammensetzung, der Tagesform oder den Prioritäten des einzelnen Tieres, zum Beispiel bei Futter, im Spiel oder bei der Paarung.

 

So sollten wir Tiere vielleicht besser als «reaktiv» statt als «aggressiv» bezeichnen. Oder wir umschreiben das Verhalten durch Aussagen wie: «Tiere, die die aktuelle Situation nicht handhaben können», «Tiere, die überfordert sind», «Tiere, die ihre Sprache verloren haben». Das bewahrt uns davor, ein negatives Bild von dem Hund zu prägen oder weiter zu festigen.

 

Das Verhalten ändert sich natürlich nicht durch eine neutrale Beschreibung der Situation und dem Weglassen der Bewertung. Doch die Sichtweise auf dieses Verhalten wird weniger emotional und so öffnen sich leichter neue Wege für ein angepasstes Training.

 

Wahre «Bosse» müssen im Übrigen nur sehr selten um ihre Position kämpfen. Führerschaft hat damit zu tun, Verantwortung für andere zu übernehmen und Stellung zu beziehen. Voraussetzungen dafür sind Souveränität, innere Sicherheit, Weitsicht, Umsicht, Klarheit und Fairness. Diese positiven Eigenschaften hat man oder man hat sie nicht. Führerschaft wird einem also entweder anvertraut oder man muss sie sich (hart) erarbeiten. Wer sie sich mit Gewalt nimmt, ist lediglich ein Diktator oder Tyrann.

Wie erarbeitet man sich als Mensch diese Qualitäten?

 

Unter anderem, indem man nicht immerzu nur auf Vorgaben seines Hundes reagiert, sondern selbst agiert. Das bedeutet, dem Hund zu zeigen, dass man sehr genau weiß, was man will, dass man ferner diesen Wunsch ruhig, klar und unmissverständlich vermitteln kann, dass man dabei auch die Interessen und Möglichkeiten des Hundes berücksichtigt und dass das von uns erwünschte Verhalten für den Hund lohnenswert ist.

 

Ein Beispiel:

Ursprüngliche Situation: Der Hund schleppt seinen Ball an, fordert seinen Menschen durch lautes Kläffen zum Werfen auf und erfreut sich an dem Spiel, bis er genug davon hat, den Ball liegen lässt und geht.

 

Mögliche Variation: Der Hund schleppt seinen Ball an, legt ihn auf ein Kommando seinem Menschen in die Hand, wartet ruhig ab, bis der den Ball versteckt hat und zu ihm zurückgekehrt ist, spurtet dann los und sucht das Spielzeug, apportiert es und wird mit einer Runde werfen oder toben dafür belohnt. Danach beginnt das «Spiel» von vorn.

In beiden Fällen hat der Hund zweifellos seinen Spaß gehabt. Im ersten hat er darüber hinaus auch noch die Spielregeln und die -zeit bestimmt und durchgesetzt. Im zweiten Beispiel hat der Mensch diesen wichtigen Part übernommen und wird damit von der passiven «Ballwurfmaschine» zum aktiven Spielpartner und Regisseur.

 

Mit Hunden leben – über Hunde lernen, 257 Seiten, € 24,80,  ISBN: 978-3-7357-8226-3